19. Artikel, Herbst 1958

„Was ist Humus“ 

Humus ist die Fruchtbarkeit der Erde, Humus ist Nahrung der Pflanzen, und er ist also auch Nahrung der Tiere und Menschen. Er ist zugleich das bindende, verbindende Element des Bodens, denn ohne ihn wäre die Erdoberfläche eine Staubwüste. Und nicht zuletzt ist er Grundlage alles Lebendigen, der bestimmt über Gesundheit und Krankheit. Von ihm geht alles aus, was wir lebendig nennen, und in ihn kehrt es nach seiner Zeit wieder zurück, zu neuem Wandel bereit.

Die Agrikulturchemie hat in analytischer Denkungsweise allerlei Bestandteile des Humus wie Huminstoffe usw. dargestellt, ohne den Kern zu treffen.

Die alten Forscher der voranalytischen Zeit mit ihrer Auffassung „Die alte Kraft“ des Bodens sei der Humus, waren der Wahrheit viel näher. Albrecht von Thaer, ein Arzt, der seinen Beruf aufgab, um eine Landwirtschaftswissenschaft zu begründen, hat die Pflege des hofeigenen Düngers und die Kleewirtschaft als Humusquellen gefordert. Nachdem erkannt wurde, dass durch die Entnahme der Ernten ohne Rückbringung der organischen Masse als Dünger auf dem Boden, mit der Zeit ein Defizit entstehen müsse, unternahm die Agrikulturchemie den grandiosen Versuch, das Defizit durch Mineralsalze und durch künstliche Stickstoffsynthese zu beseitigen. Das Defizit auszugleichen ist richtig und nötig, muss jedoch in einer Form erfolgen, die die Mitwirkung des Bodenlebens nicht ausschaltet, was jedoch sowohl durch die leichtlöslichen Mineralsalze der künstlichen Düngung geschieht, als auch durch den synthetischen Stickstoff. Letzterer macht das Bodenleben überflüssig, inaktiv und führt zum Ausfall wichtigster Wirkstoffbildungen, auf die Boden und Pflanze angewiesen sind und die mit der natürlichen Stickstoffentnahme aus dem Humus Hand in Hand gehen.

Es ist also auf die Dauer nicht möglich, die natürliche Stickstoffversorgung der Pflanze
künstlich zu ersetzen, man ist auf das Bodenleben aus anderen Gründen angewiesen. Das
oberste Gesetz des Düngens bleibt also die Erhaltung des Bodenlebens. Auf natürlichste
Weise ist das Bodenleben aber nur zu erhalten, wenn praktisch alle dem Boden
entnommene Substanz (Lebenssubstanz und mitgeführte Mineralien), in den Boden
zurückkehrt, wenn sie ihren Kreislauf durch Pflanzen, Tiere und Menschen hindurch
vollendet hat. Es wird vielleicht niemals möglich sein, diesen Kreislauf wirklich vollständig zu schließen und wiederherzustellen, auch nicht bei größter technischer Bemühung, die derzeit noch in keinster Weise in Gang ist. Die Natur aber bietet uns für diese Mängel einen
Ausgleich, durch die wandernde Lebenssubstanz (Samensporen), die durch Luft und Wasser auf der Erde herumgeführt wird (zum Beispiel Löwenzahnkugeln, Birkensamen).

Die Lebenssubstanz ist das Kernstück des Humus. Es gibt lebende Substanz, deren
Teilchen bei etwa tausendfacher Vergrößerung im Mikroskop sichtbar sind und gezählt
werden können. Es gibt auch Lebenssubstanz, die im Lichtmikroskop nicht mehr sichtbar ist.

Im Kubikmillimeter eines voll-lebendigen Bodens finden sich rund 30000 Teilchen
Lebenssubstanz, im Kubikmillimeter eines hochwertigen organischen Düngers etwa 1 Million Teilchen (1qmm ist etwa der tausendste Teil eines Grammes Erde).

Diese Teilchen besitzen eine Art Klebrigkeit und kitten so den Staub der Erdoberfläche zu
dem zusammen, was wir mit Albrecht von Thaer „Humus“ nennen. Humus ist demnach die primitivste Form lebenden Zellgewebes wie es alle Organismen besitzen.

Alle lebenden Zellen von Organismen enthalten lebendige Substanz, die sie durch die
Nahrung aufnehmen und andere abgeben; die Summe dessen, was davon in den Boden
gelangt, wandert durch eine sinnvolle Kette von Mikrobien und besonders Bakterien, die

diese Substanzen dann freigeben (ein Stäbchen Bakterium ca. 100 Teilchen), sodass sie als
Erdstaub im Humus liegen bleiben.

Die Pflanze vermag mit Hilfe ihrer Symbionten (Wurzelbakterienflora) die Lebenssubstanzen aufzunehmen. Das geschieht in genau geregelter Form: Es besteht eine Abhängigkeit zwischen der Menge des Chlorophyls, das eine Pflanze besitzt und der Menge an Humus, den sie entnehmen darf. Dadurch verhindert die Natur eben den Raubbau, den man mit der Einführung der Stickstoffdüngung angefangen hat.

Die synthetische Stickstoffdüngung bringt das Verhältnis zwischen Chlorophyl ­ Nährstoff­
Bildung ­ Humusentnahme ­ Stickstoff-Bindung und Bodenmikrobienzahl aus dem
Gleichgewicht und führt zu einer unzuträglichen, unkontrollieren Humus-Entnahme. Massige synthetische Stickstoffanwendung vermag sogar in einer einzigen Wachstumsperiode den größten Teil der lebenden Bodensubstanz abzubauen.

Förderung der Humusbildung
Die Humusbildung ist abhängig vom Bodenleben, denn Humus ist ein Produkt der
Lebensvorgänge im Boden.

Feuchtigkeit, Luft, Dunkelheit, Mindestwärme sind notwendig.
Bodenbedeckung dadurch Ausschluss des Lichtes, Verhinderung von Austrockung,
Förderung der Wärmebildung.
Beachtung der Bodenschichtung: Abbau-Vorgänge in den oberen Schichten, Aufbau-
Vorgänge in den unteren Schichten, daher Vermeidung von Störungen der Schichten durch Pflügen, Wenden, Graben.

Die Lebensvorgänge des Bodens bedürfen der vollkommenen Ernährung, daher beste
Auswahl an mineralischen und organischen Materialien. Organische Dünger im weitesten
Sinn, Bodendecken in frisch lebendigem Zustand, Komposte aus bestem Verfahren
(Trockenheit und Nässe vermeiden, luftig und locker aufsetzen).

Humus ist das Ende und der Anfang allen Lebens, in ihm ruhen die Geheimnisse von Leben
und Gesundheit aller höherer Organismen und nur von hieraus kann man Mensch, Tier und Pflanze gesund erhalten und gesund machen ­ alles andere sind Notmaßnahmen von kurzer Dauerwirkung.

Nur aus einem voll lebendigen Boden vermögen wir die höheren Lebewesen wirklich
vollkommen zu ernähren und das ist gleichbedeutend mit der Erhaltung ihrer Gesundheit.
Deshalb müssen wir unsere Böden allmählich wieder lebendig machen. Die Meister der toten Materie (Agrikulturchemiker) können uns nicht ein einziges Fünkchen Leben produzieren ­ das Lebendige ist gegeben und kann von uns nur gepflegt werden: Es ist und bleibt das Geheimnis eines Geistes, der über uns ist und dem wir dienen, zuvorderst durch die Pflege jener unzähligen Lebensfünkchen der Mutter Erde, die wir Humus nennen.

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