102. Artikel Herbst 1981: „Humus – die Grundlage der Pflanzenernährung

Die Landwirtschaftswissenschaft hat ein Arzt begründet: Albrecht von THAER. Er wollte die Landwirtschaft rationeller gestalten und nahm mit Recht an, dass das nur möglich sei, wenn er eine Landwirtschaftswissenschaft begründe. Die Grundlage seiner Lehre war die Auffassung, dass der Humus das wirkliche Geheimnis des gesunden Wachstums sei.

Wenig später gelang LIEBIG der Nachweis des Mineralbedürfnisses der Pflanze, und unglückseligerweise fand er heraus, dass die Pflanzen Mineralien am leichtesten in Form löslicher Salze aufnehmen und damit im Wachstum erheblich angetrieben werden können, besonders durch die Salze des Stickstoff. Daraus entwickelte sich das industriell leicht auswertbare Verfahren der Kunstdüngung. Es beruft sich bezeichnenderweise nicht auf die Arbeiten des älteren Liebig, der eingesehen hat, welch verhängnisvolle Entwicklung er in Gang gebracht hatte.

Unter dem beherrschenden Einfluss der Chemie auf die Agrikultur kam die Humuslehre von THAER in Vergessenheit. Sie wurde erst dann wieder hervorgeholt, als die Zerstörung des Humus auf unseren Kulturböden nicht mehr zu verheimlichen war.

Noch heute spricht der Agrikulturchemiker nicht, wie THAER, von einer „Ernährung“ des Bodens, sondern nur von einer Fütterung der Pflanze. Er rechtfertigt sich mit dem Hinweis auf die enorm angestiegenen Erträge, wobei ihm als Maß allerdings nur die Waage und die chemische Analyse dient. Humus ist, so sagen noch heute alle Lehrbücher der „zuständigen“ – wie sie sich gerne nennt – Wissenschaft, Humus ist keine Pflanzennahrung, nur der Boden hat ihn nötig als Erosionsschutz.

Man demonstriert gerne Hydrokulturen, die ohne Humus prächtig gedeihen, da die Pflanzen nicht anderes aufnehmen können als zB. Salze. In Wirklichkeit sind diese Pflanzen nur fähig augenblickliche Wachstumsaufgaben zu erfüllen, sie sind jedoch völlig der Resistenzverminderung unterworfen, das ist die natürliche Abwehrfähigkeit der Pflanze gegenüber krankmachenden Mikroben und Viren. Je künstlicher die Ernährung umso stärker die Resistenzverminderung, sodass sich Kulturpflanzen heute des fortlaufenden Pflanzenschutzes mit teilweise sehr gefährlichen Giftstoffen bedürfen. Die heutige Landwirtschaft ist ein Riesen-Experiment und als solches soll man es ansehen, um ihre Fehler zu finden.

Dieses Experiment beweist nur einmal mehr, dass wir die stofflichen Voraussetzungen für das fortlaufende Gedeihen der lebendigen Organismen nicht vollständig kennen.

Es wir der chemischen Analyse nie möglich sein, mehr zu entdecken, als die gröbsten Strukturen lebender Substanzen. Die besten Biochemiker geben das heute auch unumwunden zu, wie ja auch Emil FISCHER, einer der größten, nach jahrzehntelangem Mühen eingestand, er habe eingesehen, dass man das Chlorophyll weder analysieren noch synthetisieren könne. Auch dieser Stoff ist eine lebende Substanz und vollbringt die wunderbare Leistung, Sonnenenergie in energiegeladene Kohlenhydrate umzuwandeln. Er wird aus dem Humus bezogen und ist nicht künstlich nachzuahmen, so wenig wie die übrigen Billionen und aber Billionen lebender Substanzen, die der Humus birgt.

Wir haben also festzustellen: Es wird niemals möglich sein, ein vollkommenes Nahrungsgemisch künstlich herzustellen. Es wird niemals eine vollkommene künstliche Ernährung geben. Wir können nur der Natur auf die Finger sehen, um herauszufinden, wie sie es anstellt, um den Pflanzen eine vollkommene Nahrung zu bieten. Dies und nichts anderes müssen wir nachahmen, wenn wir eine vollkommene Nahrung ziehen wollen.

In der Natur stammt jede Nahrung aus abgelaufenen Lebensvorgängen, eines lebt vom Tode des anderen, von den Abfällen des anderen.

Da die Pflanze nicht das ganze Jahr über wächst, muss die Natur eine Form finden, um die Nahrung für die Wachstumszeit aufzubewahren. Sie muss aber auch dafür sorgen, dass die Nahrung aus den Zellgerüsten der abgestorbenen Organismen befreit wird, und sie muss zugleich dafür sorgen, dass der Boden eine Struktur erhält, die sowohl die abbauende Lebenstätigkeit der „Aasfresser“ wie auch die „aufbauende“ Tätigkeit der Pflanze und ihrer Mitarbeiter gleichermaßen gestattet. In wie vollkommener Weise die Natur diese Aufgabe gelöst hat, ist eines der größten Wunder, die uns offenbart werden.

Die Humusbildung ist nämlich streng an die natürliche Schichtbildung gebunden. Das hat einen ganz bestimmten Grund: zur Aufbereitung der Abfälle braucht man Lebewesen, die sich nicht scheuen, auch die denaturierten Hartstoffe der Zellwände, Zellulose, Horn u.ä., anzugreifen. Als Belohnung dürfen sie von den noch übriggebliebenen Energiestoffen leben, wobei sie unter anderem auch Wärme produzieren. Sie fressen die Kohlenhydrate, Eiweiße, Fette u. v. a. auf und verbrauchen sie. Ist ihre Arbeit getan, so sterben sie. Mit ihrem Tod aber ernähren sie eine zweite Garnitur von Lebewesen, die nicht mehr zur abbauenden Gilde gehören, sondern der Pflanze bei ihrem Aufbau helfen und ihr dienen. Sie bereiten auch den eigentlichen Humus. Dafür werden sie von der Pflanze mit Energiestoffen versehen, sobald die Fotosynthese der Kohlehydrate im Gang ist. Sie sind als echte Mitbareiter, sogenannte Symbionten. Diese „Aufbauschicht“ befindet sich bereits im Wurzelgebiet der Pflanzen, während die Wurzeln die „Abbauschicht“ fliehen. Sieht man sich diese Mikroben – um solche handelt es sich ausschließlich in der „Aufbauschicht“ – genauer an, so entdeckt man etwas höchst Interessantes: Es sind die gleichen Sorten, die wir Menschen selbst mit uns herumtragen, als Rachen-, Darm- und Hautflora. Es handelt sich um sogenannte Milchsäure-Bakterien.

Wird die Zellsubstanz der Abfälle nicht alsbald nach ihrem Umbau in den zwei Schichten von der Pflanze aufgenommen, weil sie im Augenblick nicht wächst, so umgeben sich die organischen Teilchen der ehemaligen Zellsubstanzen mit einem besonderen Schutzmantel aus Protoplasma, sie werden dadurch klebrig. Deshalb vermögen sie den Bodenstaub, das Produkt der natürlichen Gesteinserosion, zu den sogenannte Krümeln zu verkitten – Lebendverbauung nach SEKERA. Dieser Kittvorgang ist das Grundelement der Boden-Gare und die Voraussetzung für die Lebensvorgänge, weil es die Luft- und zugleich die Wasserversorgung sicherstellt. Die Luft mit Stickstoff, Kohlensäure und Sauerstoff, und das Wasser als Grundstoff des Lebens kann kein Lebensvorgang entbehren. Deshalb darf auch die Gare niemals ganz verschwinden, und das Auflösevermögen der Pflanze gegenüber dem Bodenkrümel wird durch genaue Gesetze geregelt, indem die Pflanze dem Lebendgehalt des Bodens entsprechend in ihrem Chlorophyllgehalt begrenzt wird. Die Düngung mit Stickstoffsalz beseitigt dieses „Gleichgewicht zwischen Humusverbrauch und Fotosynthese!“.

Für die natürliche Agrikultur und Gärtnerei fehlt uns noch eine grundsätzliche Feststellung: Lebensenergien – biologische Energie – lässt sich nur dann in einem Material restlos in neue Lebensvorgänge überführen, wenn die Lebensvorgänge niemals abbrechen, mit anderen Worten: Die Energie organischer Abfälle kann nur dann vollständig in Pflanzenwachstum verwandelt werden, wenn – den Jahreszeiten entsprechend – der Ablauf von Abbau, Humusaufbau und Pflanzenwachstum nicht unterbrochen wird.

Es ist von höchster Notwendigkeit für den Praktiker das Bild eines natürlichen Bodens und den Vorgang der Humusbildung genau einzuprägen. Unser aller Wohl und Wehe hängt von der Muttererde ab und damit also vom Humus.

Eine hundertprozentige Ausnützung ist nur möglich, wenn der eben entstandene Abfall in wenigen Tagen als Bodendecke ausgebracht wird. In diesem Fall geht alle Energie sofort in neue Lebensvorgänge über und fließt restlos der Humusbildung zu.

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