30. Artikel Winter 1961

 „Die makromolekulare Stufe des Lebendigen“

Früher betrachtete man als kleinste Einheit des Lebens die Zelle, hier begann für die naturwissenschaftlichen Vorstellungen das Leben, darunter gab es nur mineralisierte Substanz, das heißt die Elemente und ihre Verbindungen, zum Beispiel die Salze.
Es wurde eine totale Mineralisation der lebenden Organismen (Pflanze, Tier, Mensch) bei ihrem Absterben bezüglich aller ihrer Stoffe angenommen, verbunden mit der Annahme, dass jeder Organismus die lebendigen Substanzen, die er in sich trägt, wieder von vorne neu aufbauen muss.
Diese letztere Annahme trifft nun nicht zu, die Mineralisation geht zwar tatsächlich vor sich, betrifft aber nicht alle Stoffe.
Die Forschung ist in den letzten beiden Jahrzehnten auf verschiedenen Wegen tief in das Niemandsland zwischen lebendiger und lebloser Substanz eingedrungen und hat dabei überraschende Feststellungen gemacht, die das naturwissenschaftliche Weltbild teilweise total zu verändern beginnen. Daran ist die Makromolekularchemie und Biophysik ebenso beteiligt, wie die Erbforschung, die Virusforschung und die Biologie allgemein. Jeder dieser Wissenszweige hat, teilweise ganz unabhängig voneinander, nachgewiesen, dass es zwischen der lebendigen Zelle und den unlebendigen Kleinsubstanzen eine Riesenzahl von Großmolekülen, das heißt von lebenden Substanzen gibt, die in den verschiedensten Formen bei einer Auflösung lebender Zellen, also beim Tod der Zelle als Lebenseinheit nicht auseinanderfallen. Auch nicht bei den Verdauungsprozessen, sondern erhalten bleiben: Unser „Gesetz von der Erhaltung der lebendigen Substanz“ und der Kreislauf lebendiger Substanzen als wesentlichster Teil der Nahrungskreisläufe wird damit ganz allmählich Stück für Stück bewiesen.
Die Zelle ist demnach als kleinste Lebenseinheit entthront, es gibt unterhalb der Zelle bereits alles das, was man „Leben“ nennt. Zwischen den Kleinsubstanzen, zu denen nicht nur die Mineralsalze, sondern auch die Vitamine, Enzyme, Hormone, Kohlehydrate und Eiweißbausteine zu rechnen sind und den „großen Zellen“, gibt es einen ausgedehnten Lebensbereich, den wir die „makromolekulare Stufe des Lebens“ nennen. Wie ist sie beschaffen, und welche Bedeutung hat sie für die Erhaltung und Fortpflanzung der lebendigen Organismen? Ein makromolekulares Großmolekül ist aufgebaut aus Atomen, geordnet in besonderer Weise. Je weniger Atome in einem Molekül vorhanden sind, desto fester ist die Aneinanderbindung. Je größer die Anzahl der Atome ist, desto schwieriger wird das Problem der Bindung, desto wandelbarer und unbeständiger sind die Moleküle, sie sind labil, reagieren auf jede Veränderung und besitzen infolgedessen die besondere Eigenschaft der Lebendigkeit. Ohne diese Lebendigkeit, ohne die Fähigkeit auf Umwelteinflüsse zu reagieren, gäbe es kein Leben. Aber gerade wegen dieser Labilität, wegen der Veränderlichkeit und Empfindlichkeit ist es äußerst schwierig sie zu untersuchen und ihr Verhalten zu studieren. Man kann sie nur indirekt studieren, indem man ihre Wirkungen in ungestörten Lebensvorgängen studiert. Solche Studien werden in hunderten Laboratorien der ganzen Welt durchgeführt, dabei wurden erstaunliche Neuigkeiten zu Tage gefördert.
So sind gewisse Großmoleküle nicht so empfindlich wie die Masse und diese sind die allerwichtigsten lebenden Substanzen, nämlich die Erbsubstanzen.
Eine der wichtigsten Eigenschaft der lebendigen Großmoleküle ist die Fähigkeit, sich selbst zu verdoppeln, das heißt, sie können sich selbst vermehren, was innerhalb von Zellen, also im Schutz einer bereits höheren Form des Lebendigen, vor sich geht. Bei der Fähigkeit der Selbstvermehrung von Großmolekülen handelt es sich um eine „Urfunktion“ ohne die es Fruchtbarkeit und Fortpflanzung nicht gibt.
Bei der Teilung von Erbsubstanzen in kleinste Scheibchen durch einzelne Röntgenstrahlen konnte festgestellt werden, dass man sie weder abtöten konnte, noch ihnen ihre Erbeigenschaften nehmen.
Bei diesen so gewonnenen Erkenntnissen ist naheliegend, dass diese Grundformen der lebenden Substanzen erstens sehr widerstandsfähig sein müssen, zB bei Kälte und Hitze in der freien Natur zu überleben verstehen, zweitens dass es Organismen besonders Pflanzen keine Schwierigkeiten macht, diese relativ kleinen Lebendsubstanzen aufzunehmen. Und drittens, dass bei der Umformung organischer Substanz, wie tierische Verdauung oder Humusbildung, das massenmäßig Meiste der lebenden Substanz mineralisiert werden kann, ohne dass die selbe restlos zerstört werden müsste.
Ein kleiner Teil genügt, um immer noch die lebendigen Eigenschaften zu retten.
Die wichtigste Frage, die uns auf der makromolekularen Stufe des Lebens begegnet: Bauen sich die Lebewesen bei der Pflanze beginnend, wie die heutige Lehrmeinung behauptet, nur und ausschließlich aus Nahrung in mineralischer Kleinform auf und es gibt keinen Kreislauf der lebenden Substanzen. Dagegen sprechen zahlreiche Beispiele, dass lebende Großmoleküle wie die Mikrosomen und die Erbsubstanzen sehr wohl von den Zellen bereitwillig aufgenommen werden, zu denen sie passen.
Die Forschung auf der makromolekularen Stufe des Lebens kommt unseren wissenschaftlichen und landbaulichen Grundsätzen, die wir in der Praxis und im Laboratorium seit langer Zeit betätigen, heute Schritt für Schritt näher. Was an unseren Überzeugungen bisher nicht schlüssig bewiesen war, wird zur Zeit und in nächster Zukunft bis ins Letzte bewiesen sein. Dann wird es nicht mehr so schwer sein, die Folgerungen zu ziehen.
Immerhin aber ist es notwendig, dass es Menschen gibt, die sich nicht scheuen, schwankenden Boden eines Niemandslandes zu betreten, wenn es um die wichtigste Frage geht, die uns Menschen gestellt ist, die Frage nämlich, wie wir es anstellen müssen, damit die Menschheit gesund und glücklich wird. Mit dem Landbau fängt es an, der Mutterboden schafft unser Schicksal, das war und bleibt unser oberster Grundsatz. Wenn uns nun die Wissenschaft in das Niemandsland nachfolgt, das wir mutig betreten haben, so wollen wir auch ihr dafür dankbar sein.

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