6. Artikel, Sommer und Herbst 1954

„Fragen zur Umstellung auf die biologische Wirtschaftsweise“ 

„Wenn ein Bauer oder Gärtner seinen Betrieb auf eine biologische Bewirtschaftung umstellen will, so muss er sich zuerst darüber im Klaren sein, dass die Umstellung nicht mit einigen Rezepten durchgeführt werden kann, dass es nicht genügt, wenn man einfach auf den Kunstdünger verzichtet und stattdessen seinen Stallmist schlecht und recht kompostiert. Der biologische Landbau ist eine Lebensaufgabe und erfordert ganze Männer und Frauen, er muss weniger erlernt werden, als vielmehr erlebt und erarbeitet.“

Die Kunstdüngerwirtschaft nimmt den Bauern die Mühe des Denkens ab: Saatgut wird
geliefert, alle Jahre neu, Kunstdünger (wasserlösliche Mineralien), nach Hektar errechnet
wird geliefert, gleichzeitig die nötigen Schädlingsbekämpfungsmittel.

Der Boden wird als Pflanzenstandort betrachtet um dessen Innenleben man sich nicht zu
kümmern braucht, die Loslösung vom Boden ist vollzogen.

Die Mineralstoffleere gibt es seit rund 100 Jahren; als man entdeckt hatte, das man der
Kulturpflanze wasserlösliche Salze anbieten kann, ergriff die Industrie die Chance und
entwickelte ein Wissenschafts- und Vertriebssystem von beherrschendem Ausmaß. Die 4
Haupt- oder Kernnährstoffe N, P, K, Ca wurden in wasserlöslicher Form verabreicht, gefolgt
von den ebenfalls in wasserlösliche Form gebrachten Spurenelemente Cu, Fe, Mn, Al, Si,
Zn, Ni, Co, B.

In der Kunstdüngerwirtschaft besteht die einzige Brücke zwischen der Pflanze und der
Umwelt in dem Vorgang der Mineralstoffaufnahme in wassergelöster Form von der
behauptet wird, sie sei die einzige Form der Nährstoffaufnahme für die Pflanze überhaupt.

Angesichts dieser alles beherrschenden Kunstdüngerwissenschaft muss auch der
biologische Landbau eine Wissenschaft werden, denn anders lässt sich nun einmal in der
modernen Zivilisation nicht wirtschaften.

In der biologischen Landwirtschaft wird die Pflanze nicht gefüttert, das Ziel ist eine Pflanze
die von selbst wächst, das geht aber nur auf einem lebendigen Boden und deshalb steht im Mittelpunkt eines solchen Betriebes der Boden und immer wieder nur der Boden. Man muss ihn genau kennen, muss ihn riechen und anfühlen lernen, man muss wissen was ihm fehlt und was er haben muss um gesund zu sein, man muss sein Leben spüren lernen und
wissen, das aus ihm alles Lebendige kommt und in ihm alles Lebendige endet. Erst dann
kann man biologisch denken, fühlen und arbeiten, erst dann verwächst die ganze Familie mit der fruchtbaren Erde und erst dann wird aus einem „Betrieb“, aus einer Pflanzenfabrik, ein Bauernhof.

Worin liegt der Unterschied zwischen künstlicher und natürlicher Bodenwirtschaft? Der
Unterschied liegt in der Betrachtungsweise des Stoffwechsels der Pflanze:

Der Chemiker hält das Düngesalz für die einfachste, billigste, bequemste und natürlichste Art der Düngung, denn er glaubt, dass er mit dem Mineralstoff der Pflanze alles gibt, was sie zum natürlichen Wachstum braucht. Für den Chemiker besteht die einzige Brücke zwischen der Pflanze und der Umwelt in dem Vorgang der Mineralstoffaufnahme.
Der Biologe erkennt die enge Bindung zwischen Pflanze und Boden und erkennt diesen als
den Nährstofflieferanten für alle Bedürfnisse der Pflanze. Alles was sie braucht schöpft sie
aus dem Kreislauf des Bodens und seiner lebendigen Substanz, auch die Mineralstoffe.
Daher ist der Boden durch die Bewirtschaftung in den Zustand zu versetzen, dass er dies
bewerkstelligen kann.

Die Hauptmaßnahme den Bodenzustand in ein Optimum zu bringen, ist jedwede Art von
Kompostierung, die ein Vorverdauen organischer Abfälle in Richtung Humus darstellt.
Gesunde und reichhaltige Komposte bringen außerdem Ersatz an lebendiger Substanz auch eine biologisch genau und richtig dosierte Menge von Mineralien mit, eingebaut in die Gebilde der lebendigen Substanz ­ also nicht isoliert.

Auf diese Weise wird dem Boden an Mineralsubstanz genau das wiedergegeben, was ihm
die Pflanze entzieht, ein Mangel kann nicht auftreten. Ein direktes Aufbessern des
Mineralhaushaltes des Bodens geschieht im biologischen Landbau durch den Einsatz von
Urgesteinsmehlen, die nicht direkt wirken, sondern von den Lebewesen des Bodens
aufgeschlossen werden müssen.

Welche Folgeerscheinungen treten bei der Kunstdüngung auf?
Abbauerscheinungen: Das Saatgut verliert seine immerwährende Keimkraft, man braucht
immer wieder frisches. Die Pflanze verliert die Fähigkeit Abwehr- und Schutzstoffe zu bilden, die Krankheitsanfälligkeit nimmt zu und zwingt zum Einsatz von Gift. Die Pflanze verliert die Fortpflanzungsfähigkeit (Samenbildung).

Die richtige pflanzen- und bodenerwünschte Dosierung der Mineraldünger (Hauptnährstoffe und Spurenelemente) ist nahezu unmöglich. Der Mineralhaushalt des Bodens kommt in Unordnung, chronische Bodenschäden treten auf.

Man kann eine Kulturpflanze also nur richtig ernähren wenn man nicht in den
Stoffwechselprozess zwischen Boden und Pflanze eingreift. Die Kunstdüngung ist in keinem Fall eine normale Ernährung des Bodens, erst recht nicht eine normale Ernährung der Pflanze. Es gibt keinen Kompromiss zwischen Kunstdüngung und biologischem Landbau ­ man kann nur das eine oder das andere tun.

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