70. Artikel Sommer 1972

„Das Gift im Boden – Ein aktuelles Problem“

Es wird ein für einen vernünftigen Menschen mit einigem biologischem Weitblick immer unverständlich bleiben, wie hemmungslos die Agrikulturchemie schwere und schwerste Gifte in die Landwirtschaft eingeführt hat. Was hat man sich davon versprochen? Was konnte man davon, außer dem Augenblickserfolg der Abtötung einiger „Schädlinge“ und Krankheitserreger, sonst noch erwarten?
Etwa die Ausrottung der Schädlinge? Wer auch nur ein wenig über die Zusammenhänge zwischen den Ordnungen in der Natur und ihrer „Gesundheits-Polizei“ in Form der „Schädlinge“ nachgedacht hat, konnte von vornherein sagen, dass der Vernichtungskampf mit Giften eine aussichtslose Sache ist. Schon der Versuch ist primitiv und dumm.
Inzwischen hat sich in der breiten Öffentlichkeit herumgesprochen, dass das Gift nicht nur den „Schädling“ trifft, sondern alles, was auf Erden lebt, und nicht zuletzt den Menschen. Man ist aufmerksam geworden, man verlangt „saubere“ Lebensmittel. Man beginnt einzusehen, was da gemacht worden ist. Die Einsicht kommt reichlich spät. Inzwischen ist nämlich die Landwirtschaft an den Giftgebrauch gewöhnt worden, als sei der Giftkampf unentbehrlich und ein Landbau ohne ihn nicht möglich. Und inzwischen ist die Industrie mit Milliardenumsätzen und Milliarden-Investitionen beteiligt, sie ist eine Realität. Niemand wagt es, einer besseren Einsicht von heute auf morgen zum Durchbruch zu verhelfen; denn man befürchtet eine Katastrophe – und das mit Recht.
Was tut man also? Man schafft über den Verordnungsweg Giftgesetze, besonders gefährliche Substanzen werden verboten, die Giftanwendungsvorschriften werden kleinweise verschärft und über die in den Lebensmitteln erlaubten Giftmengen werden Toleranzgrenzen festgesetzt. Nachdem man aber beim gegenwärtigen Stand des Wissens viel zu wenig über die biologische Wirkung kleinster Giftmengen weiß, sind die Toleranzgrenzen fragwürdig.
Vor allem schon deshalb, weil man es ja nicht jeweils nur mit einem einzelnen Gift zu tun hat, sondern gleichzeitig mit einer sehr großen Anzahl von giftigen Substanzen, die auf verschiedensten Wegen an den Menschen gelangen. Es gibt nicht nur eine ganze Reihe von Pestiziden, sondern es gibt auch das Blei und das Kohlenmonoxyd der Autoabgase, das Schwefeldioxyd aus den Schornsteinen, die Ölverbrennungsreste der Dieselmotoren und Ölheizungsanlagen, die Salzsäure der Müllverbrennungsanlagen durch den Kunststoff, die Schadstoffe im Wasser der Flüsse und Seen, man könnte diese Liste noch eine Weile fortsetzen. Die meisten dieser Gifte gelangen zwar nur in Toleranz-Mengen an den Menschen, die Addition aber dieser sämtlichen Toleranzdosen ergibt eine Gesamt-Dosis, welche die Verträglichkeit (Toleranz) des Menschen für Gifte um ein Vielfaches überschreitet.
Der Mensch der Hochzivilisation ist dieser Summe aller giftigen Substanzen zunehmend und ständig ausgeliefert und ist ihr nicht gewachsen.
Denn: gibt es überhaupt eine Verträglichkeit für kleine Giftmengen, gibt es Gift-Toleranz? Nein es gibt sie nicht. Jedes einzelne Molekül irgendeines Giftes vollbringt, wenn es in den „inneren Kreislauf“ des Körpers gelangt, seine zerstörerische Wirkung, die nicht rückgängig gemacht werden kann, es gibt daher überhaupt keine Gift-Verträglichkeit.
Frühere Generationen haben tatsächlich größere Giftmengen vertragen, ihre Körper konnten mehr Gift tolerieren ehe es zu Krankheitserscheinungen und Degenerationszuständen kam. Ihre Körper waren mit weit mehr gesunden lebenden Substanzen versehen als die heutige Generation, die bereits einen viel geringeren Bestand an gesunder lebender Substanz mitbringt. Außerdem ist heute die Möglichkeit verdorbene Substanz abzustoßen und durch frisch-gesunde zu ersetzen, wesentlich geringer als früher, nachdem der Organismus „Mutterboden“ mehr und mehr entartet und mit ihm Pflanzen und Tiere, von denen wir leben.
Halten wir fest: Irgendeine Verträglichkeit für Gifte (Toleranz) gibt es nicht! Es gibt sie auch dann nicht, wenn man gesetzlich verlangen würde, dass in den Lebensmitteln auch nicht mehr die geringste Giftmenge sein darf, solange im Landbau überhaupt Gifte angewandt werden dürfen. Ehe nicht die lebende Substanz von Nahrungspflanzen und Nutztieren rein und ausschließlich über den Humusorganismus gelaufen ist, trägt sie die Merkmale der Entartung in sich. Selbst diese Reinigung über den Boden wird uns mehr und mehr genommen, weil die Agrikulturchemie es ja verstanden hat selbst diesen robusten biologischen Filterapparat durch falsche Behandlung funktionsunfähig zu machen.
Selbst wenn die Pestizide das einzige Gift wären, das man auf die Menschen loslässt, dann würde man durch Toleranz-Prüfungen den Tod der Gesundheit nur hinausschieben, aber nicht verhindern. Aber wir haben es ja mit Dutzenden von Giften zu tun, nicht nur mit Pestiziden.
Der Weg über die Toleranz-Prüfungen erweist sich also als falsch; es handelt sich bei solchen behördlichen Maßnahmen doch nur um ein Hinausschieben des eigentlichen Problems, um den Versuch der Beschwichtigung, ohne dem Ziel einer wirklich giftfreien Nahrung wesentlich näher zu kommen. Die Verantwortlichen für den Giftkampf um die Nahrung werden lediglich aufgefordert, etwas vorsichtiger zu sein und die schwersten tödlichen Gifte allmählich zu vermeiden.
Es muss einmal gelingen und das in nicht zu ferner Zeit, die gesamte Landwirtschaft von der Zwangsjacke des Giftkampfes zu befreien, einen wirklich giftfreien Landbau zu betreiben, in dem man nicht mehr nötig hat, Toleranz-Dosen festzusetzen. Den richtigen Weg dazu zeigen die biologischen Landbaumethoden. Jegliches Giftgesetz wäre überflüssig, wenn man dem biologischen Landbau den Weg ebnen würde, wenn man ihn mit allen Kräften fördern würde, wenn man den Landwirten zeigen würde, dass es auch ohne Gift geht.
Das Beispiel ist gegeben, die Methoden sind keine Geheimnisse mehr. Sie wurden erstmals in wissenschaftlicher Exaktheit durchforscht und die Grundlagen für ein weites Feld wissenschaftlicher Zukunftsforschung gelegt. Die Methoden sind im Großen realisiert und haben sich bereits über zwei Jahrzehnte, als realisierbar erwiesen. Sie sind jedermann zugänglich und können ohne Risiko übernommen werden. Warum geschieht das nicht? Sind wir Menschen wirklich schon viel zu sehr in den tödlichen Kreislauf der Fehlentwicklung verstrickt, einer Entwicklung, die mit Sicherheit zur eigenen Vernichtung führt?
Der Angelpunkt ist die Kultur des lebendigen fruchtbaren Mutterbodens, die Pflege seiner Lebendigkeit, seine behutsame Bearbeitung, seine natürliche Ernährung, der Schutz seiner werktätigen Schichten, um eine optimale Bodenleistung zustande zu bringen.
Die Schädlings- und Krankheitsfrage ist nicht eine Frage der Bekämpfungsmittel sondern eine Frage der Bodenkultur ganz allein. Eine Pflanze auf einem lebendigen fruchtbaren Mutterboden hat von selbst die Kraft sich der Schädlinge und Krankheiten zu erwehren. Der „Schädling“ aber bekommt im biologischen Landbau seine eigentliche Bedeutung wieder: „Wo Schädlinge auftreten ist etwas nicht in Ordnung! Meistens ist der Fehler im Boden, in der Bodenbehandlung zu suchen.“
Nahrungspflanzen, die nur geerntet werden können, wenn man sie laufend mit Gift bespritzt, sind als Nahrung minderwertig. Eine Landwirtschaft, die Gift braucht und deshalb Giftgesetze nötig hat, ist auf jeden Fall ein Irrweg, den man sobald als möglich verlassen muss. Die Menschheit braucht nicht Giftgesetze, sondern Gesetze zur Förderung des biologischen Landbaues.

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