77. Artikel Frühjahr 1974

„Alle Gesundheit kommt aus fruchtbarem Boden“
Früher lebten von drei Menschen zwei auf dem Lande; weit mehr als die Hälfte aller Einwohner eines Landes in den heutigen Industrienationen war von Jugend auf mit der „Mutter Erde“ verbunden, der Bauer war das Rückgrat der Völker, der Garant für die stete Erneuerung.

Heute leben bis zu 90 % der Menschen in der Stadt, die meisten davon in Großstädten. Man mag das beklagen, aber man kann es nicht ändern. Die Verstädterung, erzwungen durch das starke Wachstum der Menschheit und manches andere, ist Schicksal geworden, das wir hinnehmen müssen.

Der Stadtmensch fristet sein Leben in einer künstlichen Welt, die von Menschenhand geschaffen ist,  losgelöst von allem, was wir Natur nennen. Ihm sind die Wurzeln genommen, aus denen uns die Kraft der Erneuerung zuströmt. Er ist der schleichenden Entartung preisgegeben; denn er kennt die schicksalhaften Zusammenhänge zwischen allem Lebendigen nicht mehr. Er kann nicht mehr biologisch denken.

Wir sollten uns ganz klar machen, was das bedeutet: Die überwiegende Mehrzahl der Menschen in den hochzivilisierten Völkern sind Stadtmenschen, und die Mehrheit bestimmt unser Schicksal. Diese Mehrheit aber kennt die fundamentalen Naturgesetze bestenfalls vom Hörensagen, nicht aus dem allein fruchtbaren, persönlichen Erleben heraus. Und so kommen alle die Irrwege zustande, die in der menschlichen Kultur und Zivilisation gegangen werden. Die kleine Minderheit, die sich das wahre, biologische Denken hat bewahren dürfen, hat dabei nichts zu bestimmen.

Es gibt dafür kein besseres Beispiel als den sog. Umweltschutz, von dem plötzlich alle Welt redet. „Umwelt“ ist da doch nur das, was den Stadtmenschen unmittelbar berührt: Die Luft, das Wasser, der Lärm. Das sind gewiss wichtige Dinge, wenn es um die Gesundheit geht, aber das allerwichtigste ist doch dabei vergessen: Die Nahrung. Kaum jemand hat begriffen, dass die Nahrung der breiteste Strom ist, mit dem wir Menschen tagtäglich mit der lebenden Umwelt in Beziehung stehen und fast niemals ist von der Gesundheit der Nutztiere, von der Gesundheit der Nahrungspflanzen und schon gar nicht von der Gesundheit des Bodens die Rede.

Umso mehr haben wir selbst allen Grund, uns mit diesem biologischen Zusammenhängen zu beschäftigen, immer und immer wieder; denn der Kampf um die Gesundheit der Nahrungspflanzen und Nutztiere ist das Kernstück unserer Arbeit, das entscheidende im Kampf gegen die Entartung und das wichtigste Glied im Umweltschutz.
Gesundheit ist ganz allgemein eine Frage der lebenden Substanz, d. h. jener organischen Bildungen, die man nur beim Lebendigen findet, von der Amöbe bis zum Menschen. Von den lebenden Substanzen wird in den Organismen und Mikroben die Bewegung der leblosen Materie gelenkt und geleitet. Sie bauen damit die Zellen, die Gewebe und den ganzen Organismus auf, ganz gleich, ob es sich um einzellige Lebewesen wie z.B. Bakterien handelt oder um Großorganismen. Das geschieht in grundsätzlich gleicher Weise. Die lebende Substanz der Erde ist also gemeinsamer Besitz alles Lebendigen. Sie entscheidet aber gleichzeitig über Gesundheit und Krankheit: Nur dann, wenn ein Organismus im Besitz der „richtigen“ Lebenssubstanz ist, kann er gesund sein.

Im Ablauf des Stoffwechsels ist es durchaus möglich, dass lebende Substanzen verbraucht werden, ein Ersatz dafür wird aus der Nahrung bezogen, also aus anderen Organismen. Es hängt von der Güte der lebenden Ersatz-Substanz, also von der Gesundheit der die Substanz liefernden Tiere oder Pflanzen ab, ob damit Gesundheit oder nicht eingebracht wurde. Die unbedingte Abhängigkeit aller Lebewesen voneinander kommt hier zum Ausdruck.

Wir Menschen beziehen unsere Nahrung von Tieren und Pflanzen, die Tiere leben von anderen Tieren oder von Pflanzen, die Pflanzen aber leben vom Boden, von der Muttererde. Daher kann jede Pflanze nur so gesund sein, wie der Boden, aus dem sie lebt, wie seine Bodengesundheit ist; denn auch der lebende Boden ist ein Organismus. Er kann gesund sein, oder auch krank. Zudem bekommt der Bodenorganismus von Natur aus die schlechteste Nahrung, er muss von den Abfällen des Lebendigen leben, er muss nehmen was er bekommt und trotzdem ist er imstande daraus eine voll taugliche Pflanzennahrung herzustellen: auch das ist ein Zeichen für die Gesundheit oder Krankheit des Bodens.

Der Vorgang der Nahrungsbildung im Mutterboden ist in der Natur ohne Beispiel, er ist eines der größten Wunder, die man erleben kann. Kein anderer Organismus ist imstande aus untauglichen Abfällen gesunde Pflanzennahrung herzustellen. Wer gesunde Nahrungspflanzen erzeugen will, muss zuerst dafür sorgen, dass der Boden gesund ist. Weder die Pflanzen noch die Tiere und Menschen können auf die Dauer gesund bleiben, wenn der Boden in dem die weitaus schwierigste Aufgabe der Nahrungsbereitung vor sich geht, krank ist.

Umweltschutz ist also in erster Linie nicht die Luft und Wasserverschmutzung sondern die Sorge um die Gesundheit unserer Böden. Allerdings muss man dann Abschied nehmen von der künstlichen Ernährung der Böden (Kunstdünger) mit der sich kein gesunder Bodenorganismus aufbauen lässt und Abschied nehmen von der ständigen Zerstörung der Schichtenbildung im Boden, ohne die der Boden seine Aufgaben nicht erfüllen kann. Das Manipulieren am Lebendigen hat seine engen Grenzen.
Nach den Gesetzen des Kreislaufes der lebenden Nahrungssubstanzen wird die Pflanzengesundheit durch die Bodengesundheit bestimmt. Wird eine Kulturpflanze von Krankheit oder durch den Schädling befallen, ist sie deshalb krank, weil der Boden nicht gesund ist und der Bodenorganismus nicht voll leistungsfähig. Wird dieser Übelstand nicht behoben, wird zur Spritze gegriffen um die Symptome zum Verschwinden zu bringen. Die Symptome einer Krankheit beseitigen oder die Krankheit selber heilen ist zweierlei.

Das Ringen um die Bodengesundheit ist eine harte Arbeit, dort wo sie verloren ging, da kann man studieren was biologischer Landbau wirklich ist. Da geht es darum, das rechte Maß zu finden, um den Organismus Mutterboden behutsam zum Leben zu erwecken: richtiger Furchtwechsel, richtige Kultur, kluge Gründüngung, Gebrauch von Basaltmehl, die betriebseigenen Dünger pfleglich zu behandeln, das Verhalten der Regenwürmer beachten, die Gare zu kontrollieren und den Wechsel der Unkrautflora zu beobachten.

Es gibt keine zwei gleichen Äcker, sie sind alle verschieden, man muss seine Böden studieren, sie beobachten und sein Handeln danach ausrichten. Es ist etwas Besonderes ein biologischer Bauer zu sein, es braucht nicht nur die Umsicht und Behutsamkeit eines Arztes und Krankenpflegers sondern auch die feste Überzeugung, dass es für die Zukunft der Menschheit keinen anderen Weg gibt, um gesunde giftfreie Nahrung zu erzeugen.

Rusch hatte für die Forschungsarbeit am Boden eine Gärtnerei, Gewächshäuser und Ackerland zur Verfügung unmittelbar ans Laboratoriumsgebäude angrenzend. Hier wurde Forschungsarbeit geleistet und wurden Erkenntnisse erarbeitet. Seitdem hat der organisch-biologische Landbau sein Gesicht ganz entscheidend gewandelt. Er wurde zur echten fortschrittlichen Alternative des chemischen Landbaues und ihm in jeder Beziehung gleichzusetzen.

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