78. Artikel Sommer 1974

„Die mikrobiologische Bodenuntersuchung nach Dr. med. H.P. Rusch – Was bedeuten die ermittelten Werte über „Menge“ und „Güte“ für die Praxis des organisch-biologischen Landbaues?“

Der biologische Landbau ganz allgemein steht und fällt mit der natürlichen, spontanen Fruchtbarkeit der Kulturböden. Diese natürliche Fruchtbarkeit ist nicht identisch mit der Menge des Bodenvorrates an sogenannten Kern-Nährstoffen, d. h. den direkt oder indirekt verfügbaren Ionenschwärmen und Stickstoffverbindungen, wie sie die chemische Bodenanalyse ermittelt. Sie ist funktionaler Art und nicht mit einer stofflichen Analyse zu erfassen.

Die chemische Analyse lässt bestenfalls eine Aussage zu über die vermutliche Ernte, also bestenfalls eine quantitative Voraussage – und auch das keineswegs immer: Ein direkter Zusammenhang von chemisch-analytisch ermittelten Bodenwerten mit dem Ertrag wird seit geraumer Zeit mit Recht bestritten: Sie ist also nicht einmal immer ein quantitatives Maß für die Fruchtbarkeit des Bodens, geschweige denn ein Maß für die biologische Bodenqualität. Natürliche Bodenfruchtbarkeit ist sehr viel mehr als der mess- und wägbare Ertrag.

Fruchtbarkeit ist die höchste Leistung, deren ein Lebewesen fähig ist; sie ist zugleich der sichtbare Ausdruck der Gesundheit: Wo die Gesundheit schwindet, aus welchen Gründen auch immer es sein mag, da schwindet auch die Fähigkeit, vollkommenes Leben zu gebären. In der Natur ist kein Ding um seiner selbst willen, es ist nur um das Ganzen willen. Ein Organismus ist nicht schon deshalb fruchtbar, weil er Nachkommen hat; er ist es erst dann, wenn auch seine Nachkommen fruchtbar sind bis ins letzte Glied, von dem wir wissen können. Fruchtbarkeit ist nicht um des Individuums willen, sondern für die Erhaltung der Art notwendig.

Aber das nicht allein: Die Fruchtbarkeit der Muttererde setzt sich fort in den Organismen, die von ihr leben, den Pflanzenwesen, deren Dasein nicht mehr an die Verhaftung mit dem Boden gebunden ist, den Tieren und Menschen. Von allen diesen ans Licht gestiegenen Gestaltungen des Lebens kehrt schließlich die Fruchtbarkeit zurück dorthin, von wo sie kam, zur „Mutter Erde“. So ist die Bodenfruchtbarkeit kein Ding an sich, sondern Teil eines Ganzen, dem sie dient wie alles, was lebt. Dieses Ganze, die Gemeinschaft alles Lebendigen muss nicht nur philosophisch, sondern erst recht naturwissenschaftlich als biologische Funktionseinheit gesehen werden, wenn man den Versuch unternimmt, die Bodenfruchtbarkeit zu messen, um dem Menschen zu dienen.

Im Licht dieser umfassenden Betrachtung des Begriffes „Fruchtbarkeit“ mutet der Versuch, sie mithilfe einer Mineralstoffanalyse zu messen und sie an rein quantitativen Erträgen zu bestätigen, von vornherein als untauglicher Versuch am untauglichen Objekt, also als höchst unwissenschaftlich an. Auf jeden Fall bedarf es, um die Bodenfruchtbarkeit zu messen, biologisch-funktionaler Tests, nicht chemischer Analysen.

Der einzige, exakt-wissenschaftliche Test wäre freilich die Prüfung einer vollständigen Lebensgemeinschaft Boden-Pflanzen-Tier-Mensch über viele Jahrzehnte hinweg. Aber die Menschheit hat wohl kaum noch die Zeit, die Resultate solcher Versuche abzuwarten. Sie steht vor Gegenwartsproblemen, die auf den Nägeln brennen und gemeistert werden müssen, wenn die rapid zunehmende Entartung der hochzivilisierten Menschheit überwunden werden soll – das ist unser Problem heute, nicht in ferner Zukunft. Es bedarf also funktionaler Tests einfacher Art, unmittelbar brauchbar für die landbauliche Praxis. Solche Tests müssen ein kurzzeitig verfügbare Aussage über die funktionelle Leistungsfähigkeit eines Bodens sowohl bezüglich der Quantität wie der biologischen Qualität gestatten. Sie müssen damit eine Aussage gestatten sowohl über die erwartbare Ernte und den rentabilitäts-begründenden Ertrag wie über die vermutliche physiologische Wirksamkeit der Erzeugnisse an Nahrungs- und Futterpflanzen bei Tier und Mensch – und damit wäre zugleich eine Aussage möglich über die sogenannte Pflanzengesundheit, ihre Abwehrleistungen und ihr spontanes Gedeihen. Zugleich aber muss eine Methode erarbeitet werden, deren Unkosten so gering sind wie irgend möglich, denn ein aufwendig-teurer Test wäre für den Landbau indiskutabel.

Unter diesen Voraussetzungen gibt es überhaupt nur eine einzige Möglichkeit: Einen mikrobiologischen Test, ein Test anhand der einzelligen Lebewesen, die auf mannigfache Weise mit dem Dasein der Vielzeller Pflanze, Tier und Mensch verknüpft sind. Diese Mikroorganismen vermögen als einzige innerhalb weniger Tage das widerzuspiegeln, was im Leben der vielzelligen Organismen vor sich geht, und zwar sowohl quantitativ wie qualitativ. Die Fortschritte der Mikrobiologie geben uns schon seit geraumer Zeit die Möglichkeit dazu.

Der Test hat zwei voneinander unabhängige Teile, einen quantitativen und einen qualitativen. Ersterer gibt eine Aussage über die Intensität des Bodenlebens, also über die erwartbare Bodenleistung („Menge“), letzterer eine Aussage über die biologische Güte des Bodenlebens in Bezug auf Pflanze, Tier und Mensch, denen der geprüfte Boden – direkt oder indirekt – die Nahrung liefert („Güte“).
Bestimmung der „Menge-Zahlen“

Die funktionale Bodenleistungsfähigkeit drückt sich darin aus, wie viele Zellen eine bestimmte Bodenprobenmenge unter günstigen Wachstumsbedingungen hervorzubringen imstande ist. Die Bodenprobe wird einem bestimmten Verfahren unterzogen durch das es möglich ist die Zahl der Zellen dieser Probe zu liefern. Diese Bestimmung der Menge des Bodenlebens ist ein direktes Maß für die Fruchtbarkeit, jedoch kein Urteil über den zu erwartenden Ertrag. Der „Mengen-Test“ soll und kann nur angeben, ob von seiten des Bodens die Voraussetzungen für einen unbeeinflussten, spontanen Wuchs der Kulturpflanzen ohne jeden Treibdünger gegeben sind.

Bestimmung der biologischen „Güte“

Es gibt eine Unmenge von bakteriellen und eine noch viel größere Menge von pilzlichen Mikroorganismen die am Boden leben teilnehmen und in riesiger Zahl in jeder Bodenprobe vorkommen.

Es kommt darauf an die Natur der Bodenlebewesen zu erkennen, um ein echtes Urteil über die biologische Qualität abgeben zu können. Die Bakterienfloren bei Mensch, Tier und Pflanze sind direkt abhängig von der Bakterienflora des Bodens. So ist Milchzucker besonders charakteristisch für die Bakterien, die bei Pflanzen, Tieren und Menschen leben. Wenn nun in einem Boden Milchsäurebildner zu leben vermögen, so hat dieser Boden für Mensch und Tier eine hohe biologische Qualität. Durch die Darstellung der Milchsäureflora einer Bodenprobe in einem bestimmten Verfahren wird das vermittelt. Das Urteil über die Qualität der Milchsäureflora ergibt ein indirektes Maß für die biologische Güte von Böden, auf denen Nahrungs- und Futterpflanzen wachsen sollen.

Mit Hilfe dieses Testes hat Rusch Maßnahmen in der Methode entscheidend beeinflusst. Er hat die Probleme der Haufenkompostierung darestellt und damit der so segensreichen Flächenkompostierung die Tore geöffnet. Es wurde weiteres erkannt, dass die Humusbildung im Boden in Schichten vor sich geht, die funktionell streng voneinander getrennt sind. Bringt man sie durch tiefgehende Bodenarbeit durcheinander, so wird nicht nur die Humusbildung sondern auch die Ausbildung des Feinwurzelsystems der Kulturpflanzen sehr stark gestört. Das tiefgehende Pflügen wurde für den organisch-biologischen Landbau untragbar.

Der Test war in den ersten Jahrzehnten der jungen Methode vor großer Wichtigkeit, er vermittelte Sicherheit und Kontrolle, er half mit, dass der organisch-biologische Landbau ein klares Maßnahmenkleid erhalten konnte.

Dieser hier besprochene Boden-Test wird nicht mehr durchgeführt infolge technischer und menschlicher Schwierigkeiten mit einer ganz kleinen Ausnahme. Der Biolandbau ist, wo überhaupt nach Bodentests gefragt wird, in die stofflichen Analysen zurückgefallen. Ruschs Forderung in der ersten Hälfte dieser Darstellung ist klar und unumstößlich. Ob sie gehört wird?

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