110., 111., 112. Artikel Herbst 1984/3 Herbst 1985/3 Christmonat 1985/4 – „Siegt die Chemie oder der Schädling?“

Das chemisch-technische Zeitalter hat uns gelehrt, aus der Ordnung der Natur auszubrechen, ewige Gesetze durch menschliche zu ersetzen. Wir tun dies überall! Nicht nur mit schädlichen Insekten, sondern auch mit Bakterien und Viren. Wir sind allmählich auf einen ganz verhängnisvollen Weg geraten und haben es kaum bemerkt. Man verbreitet heute in einem Ausmaß lebensfeindliche und lebenshemmende Stoffe in der Natur, dass sich der Nichteingeweihte kaum eine rechte Vorstellung davon machen kann. Ein kleiner Bruchteil der heute verwendeten Pflanzenschutz-Gifte würde genügen, um die ganze Menschheit auszurotten.

Das ist ein sehr gefährliches Spiel mit natürlichen Dingen, dessen Folgen wir wahrscheinlich selbst nur zum Teil, desto mehr aber unsere Enkel und Urenkel zu tragen haben.

Die Schöpfung lässt nicht mit sich spaßen, wir können es uns nicht leisten Instinkt und natürliche Gefühle für echte Gesundheit verkümmern zu lassen, unser Gewissen mehr und mehr zu verlieren und uns einzubilden, wir könnten uns vor den Konsequenzen unnatürlichen Handelns drücken. Die Wahrheit ist doch eine ganz andere.

Im Kampf gegen ihre natürlichen Feinde hat die Menschheit in den letzten Jahrzehnten unvergleichliche Erfolge errungen. Die Wissenschaft hat ihr Waffen in die Hand gegeben, die es gestattet ihre Widersacher und seien sie noch so zahlreich heimtückisch oder unsichtbar bis in die geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen und mit dem Masseneinsatz chemisch-technischer Methoden zu vernichten.

Wir stellen nur hier eine der dringendsten Menschheitsfragen: Ist der chemische Giftkampf ein taugliches Mittel am tauglichen Objekt?

Ein jedes Lebewesen auf der Erde mus sich seiner Feinde erwehren. Wer das nicht kann tritt früher oder später von der Bühne des Lebens ab; so will es ein unerbittliches Naturgesetz. Es geht in der Natur um die Aufteilung der lebendigen Materie, denn sie ist eine gegebene Größe. Jeder Organismus muss um seinen Anteil kämpfen und eines lebt immer vom Tode des anderes. Die Art und Weise allerdings wie sich die Organismen des Lebens erwehren und die Nahrung erkämpfen ist außerordentlich verschieden. Auch für uns Menschen, die wir uns seit 100 Jahren so rasch vermehren, gibt es scheinbar keine andere Wahl anderes Leben zu vernichten um selbst leben zu können. Die Art unserer Waffen hat jedoch eine etwas andere Art als die Waffen der Kreatur. Letztere gehören untrennbar zum Organismus, ihr Träger haftet mit seinem Leben, diese einfache Tatsache zieht die Grenzen des Erlaubten, Grenzen die unser Giftkampf nicht hat. Unser Gift ist etwas Unpersönliches ohne eigene Verantwortung. Ein einziger Mensch kann mehr Gift produzieren als alle anderen Organismen zusammen.

Was es da in der Natur an Giften, an Fingerhut Giftpilzen und Tollkirschen gibt, ist ein reines Kinderspiel gegen die Produktionskapazität der chemischen Industrie. Um diesen bedeutsamen Unterschied geht es hier. Nicht einmal an Nahrung kann sich eine Pflanze unbeschränkt aneignen was sie will, so vermag sie auch nicht mehr Gift zu produzieren als sie selbst zu ihrem Schutz gebraucht.

Aber aus diesem Paradies der Hamonie zwischen allem Lebenden wurde der Mensch ausgeschlossen. Nur eins konnte ihn im Kampf ums Dasein retten: Sein Großhirn, jenes Organ, mit dem er alles schuf was Menschen je geschaffen haben. So schuf er Waffen, die sie ihresgleichen in der Natur nicht haben. Mit Pfeil und Bogen begann es noch ganz harmlos und reicht heute zur wirksamsten Waffe: Das Gift. Gift in vielerlei Gestalt, in ungeheuren Mengen, in Hunderttausenden von Kilogramm jährlich. Auf jeden Fall genug um zu beschützen, was zu beschützen ist: Menschen Haustiere Nahrungspflanzen, genug um auszurotten, was uns gefährlich werden kann: Schädlinge und Krankheitserreger; einmal erkannt sind sie verloren.

Noch nie war die Macht der Menschen über die übrige Kreatur so groß! Sie bestimmen was leben darf, was sterben muss. Die meisten Gifte stammen heute aus der Retorte, an Lebensvorgänge ist diese Produktion überhaupt nicht mehr gebunden, man kann davon soviel herstellen wie man will, aus leblosen Stoffen, die unerschöpflich sind. Zur Zeit ist unser Leben ohne diesen künstlichen Schutz undenkbar geworden. Wir können – so sagt man – nicht zu Unrecht nur leben, wenn die Chemie uns ernährt und beschützt.

Das ist in der Tat eine Situation, die es früher noch nie gegeben hat in jeder Beziehung. Noch nie war es möglich mit so tödlicher Sicherheit feindliche Organismen bis in ihr tiefstes Inneres zu verfolgen und mit satanischer Genauigkeit umzubringen. Vollständiger kann der Sieg der Chemie, so scheint es, über die Feinde des Menschen eigentlich nicht sein. Diese unsere Kampfesweise gegen das nicht menschliche Leben auf der Erde wird als der größte Fortschritt der modernen Wissenschaft gepriesen. Wenn heute die Menschheit ohne die Chemie nicht leben kann, so ist zu fragen, ob man die Mittel hat, die dahintersteckende ungeheure Verantwortung auch in Zukunft zu tragen.

Die Gifte der Natur sind bedingte oder relative, die anorganisch-chemischen aber unbedingte oder absolute. Nun fehlt aber der dringend notwendige nächste Schritt nach der Erforschung der Symbiosen (Erforschung des Einzelnen, Zergliederung des Lebendigen) die Suche nach dem einen allgemeinen Gesetz, das alles Lebende zusammenhält: Nach dem Erringen grenzenloser Macht mit naturwissenschaftlichen Mitteln fehlt die Erkenntnis der natürlichen Grenzen dieser Macht, es fehlt das Maß aller Dinge!

Es fehlt die Direktive ohne die wir die Last der Verantwortung für unsere so komplizierte Lebensordnung nicht tragen können. Die Erforschung des Gemeinsamen alles Lebenden steckt noch in den Anfängen. Es ist jedoch fast kein Zweifel mehr daran dass die Geburtsstunde einer neuen Erkenntnis geschlagen hat, der Erkenntnis von der unbedingten Gemeinsamkeit alles Lebendigen, der Erkenntnis dass niemand auf der Erde auf die Dauer gesund sein kann ohne die Gesundheit der gesamten Kreatur ohne jede Ausnahme.

Es ist sehr zu bedenken, dass es nicht gleichgültig ist, ob die lebende Materie unserer Nahrungsspender durch den Giftschutz vielleicht irgendeinen Schaden erlitten hat, der sich künftig bemerkbar macht. Solche Nachweise sind bereits erbracht worden, daher können wir nicht für einen einzigen Giftstoff garantieren, den wir in unserem Lebensbereich anwenden.

Wir haben uns vorzustellen, dass der weltumsapnnende Giftkapf zwar nicht von heute auf morgen, in langen Zeiträumen aber umso sicherer eine Werteverschiebung im organischen Bestand der Erde herbeiführt.

Auch dafür gibt es bereits gewisse Anzeichen. Der übertriebene Gebrauch von Antibiotika hat, aus zahlreichen Mitteilungen der Weltliteratur zu schließen, mancherorts schon eine Umschichtung des Bakterien-Bestandes bewirkt. Unter diesen Umständen bleibt uns die Feststellung, dass dieser „Retter in der Not“ das Antibiotikum für einen ausgedehnten Gebrauch ungeeignet ist; es ist immer noch besser, wenn man es nicht nötig hat.

Das Beste wäre es, sich nach Wegen umzusehen und das geschieht hie und da, zB. das Einsetzen der roten Waldameisen gegen Waldschädlinge, die Züchtung resistenter Obst- und Kartoffelsorten um den Giftschutz entbehren zu können, Heilkunden die sich bemühen ohne Gift auszukommen, reine Humuswirtschaft die den Kulturpflanzen ihre natürliche Widerstandskraft zurückgibt; alles Pionierarbeiten von Einzelnen Mutigen.

Noch ist der umfassende Giftkampf das Mittel der Wahl, noch ist die Überzeugung nicht Allgemeingut, dass die gerufenen Geister gefährlich sind, dass das Mittel der Wahl untauglich und gefährlich ist. Nicht nur das Mittel ist untauglich, auch das Objekt ist es. Eine Pflanze oder ein Nutztier zu erhalten, das ohne künstlichen Schutz sterben würde, ist für uns kein echter Gewinn. Die Substanz eines Geschöpfes, das nicht einmal die primitivste Kraft zur Selbsterhaltung hat, kann nicht vollwertige Nahrung sein. Wenn wir die Kartoffeln vor dem Käferfraß und uns selbst vor dem Bakterientod bewahren, so sind weder wir noch die Kartoffeln besser, gesünder, widerstandsfähiger geworden, im Gegenteil. An uns ist es, uns und unsere Schützlinge stark und widerstandsfähig zu machen, bis sie des künstlichen Schutzes nicht mehr bedürfen, indem wir sie in die Gemeinschaft des Lebendigen zurückführen. Mit Halbheiten ist da nicht zu helfen!

Die Situation ist eindeutig, sie muss ihre Meister finden.

 

 

 

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